HipHop-Revolution in Senegal

Senerap

(Dieser Artikel erschien zum ersten Mal 1998.)

Ende 1979 kam mit “Rapper’s Delight” von Sugarhill Gang das erste Rap-Lied überhaupt auf den Markt, das mit seinem großem Erfolg eine längst überfällige, nicht nur musikalische Revolution ausbrechen ließ. Von New York aus ging die neue Musikrichtung und die damit verbundene Kultur HipHop (Musik, Bekleidung, Tanz, Graffitie, DJing etc.) rund um die Welt und brachte ein neues Lebensgefühl und seine verschiedenen Formen mit sich. Vorläufiger Höhepunkt dieser Bewegung: “The Message” von Grandmaster Flash and The Furious Five. Ein Lied, das 1984 mit seinem Inhalt (das erste Mal wird das Leben im Ghetto auf drastisch-realistische Art berschrieben) und seinem kommerziellen Erfolg (meistverkauftes Lied des Jahres in England!) wesentlich zum Durchbruch des HipHops beiträgt. Außerhalb New Yorks, sogar außerhalb der Vereinigten Staaten beginnen junge Leute, es selbst zu versuchen.
In Europa waren die Vorreiter (selbstverständlich nach England) die Franzosen (ab 1980 mit Dee Nasty u.a.), gefolgt von den Deutschen, den Italienern und den Spaniern. Die Entwicklungen in diesen Ländern liefen sehr isoliert, was u.a. auch daran lag, daß sie kaum eigene Produktionen machen konnten und deshalb keine Basis für einen Austausch hatten (ab 1988 verbesserte sich die Lage rapide). Deshalb orientierte sich der HipHop in Afrika an US-HipHop und nicht an die Europäer; ein Grund, warum Afro-HipHop dem Europäischen im Rahmen seiner Möglichkeiten kaum nachsteht.
Die erste größere HipHop-Szene Afrikas läßt sich zwar auf Grund der englischen Sprache (man verstand den HipHop aus den USA viel besser) in Südafrika vermerken, aber der frankophone Rap ließ nicht lange auf sich warten.

Von New York nach Dakar

Flag Senegal

In Senegal entstand, zuerst fast ausschließlich in Dakar, ab 1985 eine Szene. Die herausragenden Namen aus dieser Zeit sind “King & Kool” und MC Lida. Dieser senegalesische “Old School” hatte natürlich kaum die finanziellen Mittel, sich mit Turntables und Mischpulten zu bedecken. Man rappte also über alles, was einen Rhytmus hatte, von amerikanischen Instrumental-Stücken bis einheimische Percussion.
Wie in den USA auch war HipHop-Musik in Senegal anfangs eine reine Tanz- und Party-Musik.Und sie schaffte es sehr schnell von der Straße in die Clubs, was zu ihrer schnellen Popularität beitrug. Parallel wurde die Szene (natürlich) immer größer.

Als das Ende des Old Schools kann wohl die Verurteilung von MC Lida gelten, der bei einem seiner berühmt-berüchtigten Wutanfälle auf jemanden geschossen hatte (Diese “amerikanische” Geschichte soll aber keinen falschen Eindruck über die friedliche senegalesische Szene entstehen lassen). Die Lawine war aber losgetreten. Es kamen auch ohne MC Lida einige junge Rapper dazu. Wie z.B. Positive Black Soul im Jahre 1989.

Positive Black Soul

1989 im Vorstadtleben von Dakar: In den benachbarten Vierteln Liberté 6 und Amitié 2, keine unbedingt wohlhabenden Bezirke, gibt es zwei rivalisierende Jugend-Gruppen: “King MC’s”, hauptsächlich Muslime, unter der Führung von Amadou Barry, dem späteren Doug E Tee, und “Syndicate”, christlich, mit ihrem Anführer Didier Awadi, später DJ Awadi.
Diese beiden Gruppen liefern sich erbitterte “Schlachten” darum, wer lyrisch der bessere ist. Sie rappen um die Wette, wo es nur geht. Ob auf der Straße, in Clubs oder sogar auf Konzerten. Der “Krieg” hatte aber ein Happy-End: Denn ein Konflikt, der in den USA der neunziger Jahre wohl zu Schießereien führen würde, endete in Senegal mit einem friedlichen Austausch. Nach und nach fand man sich gegenseitig doch sympathisch und bemerkte, daß man im Grunde genommen doch dieselben Ideale hatte. Man beschloß also irgenwann, sich zu einigen und später sogar zu vereinigen, ging es doch um bindende, höhere Ideen: Frieden, Einigung Afrikas, Gleichheit der Religionen (“Schwarz absorbiert Licht und wird selbst zu Licht” lehrt uns Awadi), und das alles mit “apolitischen Texten”!

1990 ist das Geburtsjahr von “Positive Black Soul”. Der Name sollte auf englisch sein, damit ihn alle verstehen. Überhaupt legen sich PBS nicht auf eine Sprache fest, rappen sie doch auf Wollof, französisch und englisch. Der Begriff “Positive” wurde gewählt, weil nach der Meinung der PBS für die meisten Menschen Afrika nur noch “aus Aids und Ruanda” besteht. Dieser Name solle zeigen, daß “die große schwarze Seele mehr ist als nur Elend”.
Da sie damals kein Geld hatten, schlichen sie sich in Studios, um durch Beobachten soviel wie möglich zu lernen. Den Rest machten sie auf der Straße mit “Gehör, Gefühl und Energie”, wie sie sagen.
1992 machte der senegalesische “Nationalheld” Claude M’Barali, in Europa eher als MC Solaar bekannt, die erste von einer Reihe “seiner” Partys in Dakar. Hier traten Doug E Tee und Awadi auf, von denen er so begeistert war, daß er ihnen Hilfe beim Aufbau einer professionellen Karriere versprach. Und er hielt sein Wort. Diskret aber gezielt wurde der Aufstieg des “explosiven Duos”, wie die große französische Musikzeitschrift “Vibration” ihren Artikel über PBS titelte, von Solaar gefördert. 1993 nahm er mit PBS das Lied “Rats Des Villes, Rats Des Champs” auf, das in Senegal ein großer Erfolg wurde und PBS schlagartig bekannt machte.

“Rats Des Villes, Rats Des Champs”1

“Boule Falé” (Dt. “Scheißegal”)

Das Lied hatte der Jugend Senegals anscheinend aus dem Herzen gesprochen. Es folgte eine weitere Kassette, u.a. mit sechs “Boule Falé”-Remixen. Darauf sind u.a. Aby N’Dour, Baaba Maal (auf dessen Album “Firin’ly Fonta” PBS bereits bei dem Lied “Swing Yella” zu hören waren) und Daara J zu hören.
1994/95 machten PBS ihre erste größere Tournee durch Europa. Dabei kamen sie u.a. nach London, auf die Festivals in Montreux, Bourges, Rennes und Paris, nach Lausanne, wo sie auf Solaars Empfehlung hin die Vorgruppe der bekanntesten Schweizer HipHoper Sens Unik waren, die sie wirklich begeistern konnten, und noch einmal nach Paris, wo sie zum unglaublich umfangreichen Vorprogramm von MC Solaar (weshalb dieser ausgebuht wurde!) in einem seiner drei legendären Konzerten in der riesigen Halle “Zénith” gehörten. In Paris nahmen sie dann auch ihr erstes Album auf, und zwar im Studio Jimmy Jays, dem bekannten DJ Solaars. Es erschien beim größten Label für afrikanische Musik, dem “Island” gehörenden “Mango” wo z.B. auch Baaba Maal unter Vertrag ist. Auf diesem Album sind sehr viele Lieder ihrer ersten Kassette zu hören (das mit Solaar nicht!) und auch bekannte Musiker wie Maty aus Senegal, oder Black Jack, ein Mitglied der afro-französischen und afrozentristischen HipHop Gruppe “Démocrates D”, der auch beim Welthit “Le Bien, Le Mal” von Guru und MC Solaar zu hören ist.

Ende 1996 machten sie ihre nächste Kassette “Daw Thiow”, auf dem u.a. ein alter bekannter wieder zu hören ist: MC Lida!
Die Kassette ist übrigens von sehr guter Qualität, auch wenn der Sound eher an Bronx als an Dakar erinnert!

Cover cassette Positive Black Soul - Boul Fale
Cover Kassette: Positive Black Soul – Boul Fale

In der Zwischenzeit waren sie aber nicht untätig gewesen. Neben vielen Konzerten in Senegal hatten sie eine Afrika-Tournee durch Gabun, Zaire und Gambia gemacht, ein Remix von Salif Keita Namens “Ne Pas Bouger” gemacht, viele senegalesische Hip Hop-Bands gefördert und eine überaus erfolgreiche US-Tournee! gemacht. Anfang 1997 brachten sie den Sampler “Senerap Freestyle No.1” heraus, auf dem einige senegalesische Rapper ihr Freestyle-Können zum Besten geben.
Da für die meisten “Senerapper” das Erwerben von Equipment aus finanziellen Gründen nicht möglich ist, gibt es in Senegal trotz der sehr hohen Zahl an Rappern ganz wenig DJ’s. Da PBS dies aus eigener Erfahrung sehr wohl wissen, stellen sie soweit wie möglich Rappern die Mittel zur Verfügung, um Aufnahmen zu machen. Die “Senerap freestyle”-Kassetten sollen jedenfalls von nun an regelmßig erscheinen.

Anfang April 1997 machten PBS die ersten Aufnahmen zu ihrem neuen Album in New York, bevor sie Konzerte in Guadeloupe und Reunion gaben und Ende Mai auf eine große Afrika-Tournee gingen. Ein Produkt dieser Aufnahmen ist die Kassette New York-Paris-Dakar, auf der sehr bekannte Rapper wie Alliance Ethnik oder KRS-1 (noch immer der Chef-Ideologe des HipHops, Begründer der “Stop The Violence”-Bewegung) zu hören sind. Auch vom Klang her ist die Kassette authentischer als Daw Thiow, was vor allem am Einsatz von Cora liegt.
Ihre Konzerte waren im Übrigen große Erfolge, vor allem in Südafrika.

Positive Black Soul sind inzwischen unwiderruflich zu Größen der Musik Senegals wie Youssou N’Dour, Baaba Maal, Toure Kunda, Ismael Lo, Thione Seck und eben MC Solaar gestoßen. Also muß man sich auch mit der Musik und den Texten der Band beschäftigen.
Sie selbst geben zu, von IAM, A Tribe Called Quest, Gangstarr, Boogie Down Production und selbstverständlich von MC Solaar, den sie ihren großen Bruder nennen, beeinflußt worden zu sein. Doch gleichzeitig betonen sie, daß sie weder frz. noch amerikanischen Hip Hop machen, sondern afrikanischen. “Unsere Musik ist sehr alt”, sagt Awadi. “Da ist es nur normal, daß wir traditionelle Instrumente wie Cora, Balafon, Sabar, Tama und vor allem traditionelle Percussions benutzen…Rap ist ein Kind der Sklaven, in Afrika wurde es geboren, in Amerika ist es groß geworden”.
Sie behaupten, apolitisch zu sein, was sie nicht sind. Das Motto der Gruppe lautet “Panafrikanist und nicht Rassist”. In ihren Liedern “Djoko” (Einheit) und “Président D’Afrique” verlangen sie die Einheit Afrikas.

Cover cassette Positive Black Soul - Daw Thiow
Cover: Kassette Positive Black Soul – Daw Thiow

“We are not P.S. or P.D.S.,{footnote}Partie Socialiste, P.D.S.: Partie Démocratic du Sénégal{/footnote} we’re PBS
A brand new party, no one will be left out
The youth are good and fair
What they did in the past cannot be buried
We are underprivileged, but we want the good life
If you want to bury us you’re lying
Remember what they promised in 1987?
We haven’t seen a thing
Turn back, and move with the positive black soul
Do not fight, if you don’t have conviction
That can’t work
They are tired now
But they can’t stop fighting positive black soul

Chorus
I’m not your slave
If you want to unite, I do
If you don’t want to unite, I still do
…”
(aus “Djoko”, englische Übersetzung im Begleitbuch zu “Salaam”)

CD Cover: PBS Salaam
CD Cover: PBS Salaam

Awadi sagt, daß die Afrikaner sich selbst helfen sollten, anstatt immer die Hilfe des Westens zu suchen. “Afrika ist selbst”. Als Beispiel nimmt er die unglaublich schnell voranschreitende Entwertung der gemeinsamen Währung der Sahelzone CFA. Seiner Meinung nach würde dies bei einem engeren Zusammenhalt der afrikanischen Staaten nicht passieren. Wenn Doug E Tee sagt, PBS seien unpolitisch, dann meint er also nur, daß sie keine Hoffnungen mehr in ihre Politiker setzen.

PBS propagieren das Lesen. Ein guter Afrikaner solle viel lesen. Sie selbst beziehen sich auf Kwame Nkrumah und Cheik Anta Diop. “Sie sind unsere Idole. Sie wurden umgebracht, also müssen wir jetzt ihren Weg weitergehen”. Weitere geistige Quellen von PBS sollen Hampate Ba und Koce Barma (senegalesischer Philosoph aus dem 19. Jh.) sein.
PBS legen großen Wert darauf, daß sie niemals jemanden wegen seiner Meinung angreifen würden. Aber Verständnis müssen sie nicht für alle aufbringen. So äußerten sie sich beispielsweise zu afrikanischen Musikern, die in Europa leben, da man dort angeblich besser seine Musik publizieren kann, sehr negativ: “Um wirkliche Musik zu machen, muß man den sozialen Kontakt zu seiner Herkunft erhalten, um Zusammenhänge verstehen zu können, so wie es Youssou mit seinem Studio in Dakar macht. Er ist weiterhin einer aus Medina (Stadtteil Dakars). Aber wenn wir nach Europa ziehen, dann können wir doch gar keine Musik mehr machen”. Denoch fühlen sie sich nur als Beobachter.

Ein weiteres Thema der Gruppe ist Lotto und Wetten, eine große Mode in Senegal für jung und alt. Dazu erzählt Awadi: “Einmal ging es Amadou sehr schlecht. Ich mußte ihn ins Krankenhaus bringen. Da sagte uns der Arzt, ohne ihn auch nur anzuschauen, in einem sehr schroffen Ton, wir sollten gefälligst warten, bis im Fernsehen die Ergebnisse der PMU (Wettbüro) gekommen sind. Wäre es ernst gewesen, wäre Doug jetzt tot…Diese Wettten machen unsere Jugend immer geldgieriger. Sie denken nur noch an Ökonomie”.
Über jamaikanische, antillische und amerikanische Afrozentristen sagt Awadi:

“Ich habe nichts gegen sie, nur kommt es mir manchmal so vor, als hätten sie Komplexe wegen ihrer Geschichte und ihrer Identität. Sie haben das Thema Afrika zu sehr verinnerlicht. Dabei kommt doch ihre eigene Welt ein wenig zu kurz”.

Die Geschichte von PBS ist wie ein Märchen. Von Sacre Coeurs-College, einer Schule im Vorort Dakars, ins Zénith, eine der größten Konzerthallen Europas. Und das in fünnf Jahren. Aber PBS sind nicht nur Doug E Tee, DJ Awadi, King MC’s, Syndicate, Killer B und PBS-Posse, PBS ist mehr, PBS ist afrikanisch.

Senerap

“Noch dreißig Jahre nach der Unabhängigkeit haben die Leute in Senegal Partys und Tanzveranstaltungen über alles gern gehabt. Dann ist das Geld alle geworden. Nun war der urbane HipHop an der Reihe”, erzählen uns PBS, die Vorreiter des Senerap. In der Stadt Dakar mit knapp zwei Mio. Einwohnern stehen nun, Mitte der neunziger Jahre, an jeder Straßenecke ein Paar Jungs mit ein, zwei Djembe-Spielern und rappen munter darauf los. Meist auf Wollof, aber auch auf französisch. Im April 1997 fand die staatlich verordnete “Woche der Jugend und der Kultur” statt, in der es zahlreiche Rap-Wettbewerbe mit unzähligen Talenten gab, wobei die jüngsten noch keine fünf! Jahre alt waren. Wie man sieht ist das Land also von Rap befallen. Wie Pilze schießen Gruppen aus dem Boden. Ihre Zahl wird auf über eintausendundfünfhundert! geschätzt, DJ Makhtar (Daara J) spricht sogar von drei bis fünftausend!

Cover: cassette "Senerap"
Cover: Kassette “Senerap”

Sie aufzählen zu wollen, wäre niemandem mehr möglich. Hier eine mehr oder minder willkürliche Auswahl:

Dakar: Killer B., Sunu Flavor, Da Brains, Bok Sagnsagn, Boul’Bai, Pee Froiss, Jant Bi, BNP, Sini Saka, Nioulte Rapadio, King Posse, Wah J, African Mboolo, Posse de RMK, Blackstar, …
Ziguinchor: Bad Master Posse, Barnoz, Black Africa Positive, Digital Posse, …

Cover cassette: Jant-Bi - Ku Mer Bokko
Cover Kassette: Jant-Bi – Ku Mer Bokko
Cover cassette: Pee Froiss - Wala Wala Bok
Cover Kassette: Pee Froiss – Wala Wala Bok

Allerdings hat sich natürlich eine Hierarchie gebildet, d.h. es gibt die größeren und die kleineren. DJ Makhtar nennt als die zur Zeit wichtigsten HipHop-Gruppen Senegals

  • Da Brains, fünf-köpfige Gruppe
  • Jant-Bi (übersetzt: die Sonne), drei Personen
  • Sunu Flavor: (brachten 1996 ihre erste Kassette heraus) zu zweit
  • Pee Froiss: (auch 1996 mit ihrer ersten Kasstte) drei Personen
  • petit frere: (DJ Makhtar konnte mir nicht verständlich machen, ob petit frere einer oder zwei ist/sind!)

und natürlich PBS, sowie Daara J

Cover cassette: Sunu Flavor -  Nell Fess
Cover Kassette: Sunu Flavor – Nell Fess

Daara J

“Die Schule des Lebens” war ein Phänomen des Jahres 1997. Im März war die Band aus Medina auf Platz vier der Charts in Senegal, was auch PBS noch nicht geschafft hatte. Ihre Kassette “Daara J” verkaufte sich 15000 mal, ein Rekord.

Daara-J:

Der Rapper N’Dongo D, der Toaster Lord Alajiman und der Sänger Faada Freddy (Foto) machen möglich, daß Daara J ein sehr breites Spektrum an Musik angehen können. Unterstützt werden sie dabei von DJ Makhtar. Das liegt daran, sagen sie, daß Sie mit und in ihrer Musik Amerika, Afrika und Jamaika miteinander verbinden wollen. Sie wollen sich auf keinen Fall auf eine Richtung festlegen lassen.

Daara J waren außerdem die zweite Hip Hop-Gruppe aus Senegal, deren Album es in Europa zu kaufen gab (“Daara J”, bei Declic). Zur Zeit arbeiten sie übrigens in Paris an ihrem zweiten Album und geben nebenbei einige Konzerte in Europa (Belgien, Frankreich, Deutschland).

Wenn man bedenkt, daß die “Senerapper” von den Amerikaner gelernt haben (s. Konfliktregelungen bei PBS), so müsste man annehmen, daß PBS und Daara J nun gemeinsam die Fahne des Senerap schwingen müssten. Da sich aber inzwischen, wie bereits erwähnt, eine Hierarchie herausgebildet hatte und der Kampf um die “Krone” nun eröffnet wurde, ist es nicht so:
Bei der Produktion von “Senerap Freestyle No.1” wurde auch Daara J eingeladen, die aber ablehnten, weil die Aufnahmen im Monat des Ramadan lagen. So zumindest die offizielle Version. Tatsache ist aber, daß PBS Bands mit der Auflage eingeladen hatten, daß sie über bekannte Instrumental-Stücke rappen. Sie schrieben aber für ihr eigenes Lied die Musik selbst. Auch Daara J hätte das gewollt…

Ob nun PBS wegen der Absage oder Daara J wegen der “schlechten Anfrage” beleidigt waren, weiß man jetzt schon nicht mehr, obwohl es noch keine zwei Jahre zurückliegt. Jedenfalls antwortete Awadi auf die Frage, warum Daara J denn bei “Freestyle No.1” nicht dabei sind, mit einem trockenen “bei No.2 sind sie dabei”.

Daara J betonen, daß sie die Ideen von PBS gut heißen und originell finden, aber zur Zeit nicht vorhaben, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Und wenn sie PBS für irgendwelche Produktionen haben will, “dann soll man halt den Label anschreiben”. Außerdem danken sie PBS auf ihrer ersten Platte nicht, was PBS auf Salaam bei ihnen getan hatte.

Ich denke, in der Relation dieser Bands spielt leider Neid eine sehr große Rolle. PBS sind nicht bereit, eine zu erfolgreiche Band neben sich zu tolerieren, während Daara J (inzwischen sehr erfolgreich) am Thron von PBS rütteln wollen. Warten wir die weitere Entwicklung ab.

Cover cassette: Daara-J
Cover Kassette: Daara-J

Doch ganz egal wie dieser Streit ausgeht; PBS haben einen Boom entfacht, der sobald nicht vergeht, und der noch viele Früchte tragen wird, auch ohne PBS oder Daara J, obwohl Leute wie z.B. Sylvain von der Salsa-Band “Super Cayor de Dakar” eine Entwicklung zu sehen glauben, bei der viele junge Leute wieder andere Musikrichtungen, wie z.B. Mbalax, wiederentdecken. In diesem Zusammenhang ist noch anzumerken, daß seit 1996 Tendenzen zu beoachten sind, die immer mehr in “Fusions” enden, wie z.B. Rap und Mbalax bei Gruppen wie Dege Gui.

HipHop in Senegal

“Die Musik ist Rap. HipHop, das ist die gesamte Einstellung. Und Rap ist HipHop-Musik”, sagt DJ Makhtar. “Und die Elemente des HipHops sind Rap, Graffities, Bekleidung, der Tanz und DJ’ing”. Daß die Musik sich nun durchgesetzt hat, wissen wir nun. Aber auch Graffities, in Senegal ist Wandbemalung eine traditionsreiche Kunst, werden nun, “HipHop-mäßig” kanalisiert, intensiv wie nie zuvor betrieben. Und die Qualität läßt meistens nur beim Material zu wünschen übrig.

Schaut man sich Bands wie Blackstar an, dann fällt sofort eines auf:
Die gesamte Band ist mehr oder minder gleich angezogen. Auch sonst ist die HipHop-Mode eine sehr verbreitete unter der senegalesischen Jugend und als Status-Symbol natürlich auch sehr wichtig. Dasselbe gilt auch für den HipHop-Tanz, der allerdings, im Gegensatz zu den USA oder Europa, nicht nur aus Break-Dance im engeren Sinne besteht, sondern auch senegalesische Tanzelemente beinhaltet.

Die einzige Domäne, in der Sene-HipHop der “nördlichen” Hemisphäre hinterher zu sein scheint, ist das DJ’ing. Dafür gibt es ganz profane Gründe: “Vinyl ist in Afrika tot” sagt Günter Gretz, Produzent und Kenner afrikanischer Musik. Und ohne Vinyl kann es keine DJ’s geben. Zudem sind 12-10’er (“HipHop-fähige” Plattenspieler, der Begriff kommt von der 1210-Modell der Technics-Plattenspieler, meist verbreiteter DJ-Turntable) und Mixer (Mischpulte) für die meisten nicht erschwinglich. Deshalb gibt es in Senegal überhaupt sehr wenige HipHop-DJ’s. Makhtar erzählte mir, daß nur PBS, Daara J, Pee Froiss und Sunu Flavor mit DJ’s arbeiten (können). Und weil kaum die Möglichkeit bestand, von gestandenen DJ’s zu lernen, hält sich die Qualität dieser vier DJ’s (noch) in Grenzen. DJ Makhtar erzählt selbst, daß er als Kartenabreißer im Medinaer Nachtclub “Metropolis” gearbeitet hat und dabei, so oft er konnte, den DJ’s auf die Finger schaute, um zu lernen. So machte er die ersten Erfahrungen mit Turntables überhaupt. Mixen und Cutten, die Grundlagen des HipHop-DJ’ing, sowie Scratchen, Wizzles, Quick-Mixer etc. schaute er sich im Fernsehen an und versuchte, sie zu üben. So konnte er überhaupt HipHop machen. Inzwischen legt er regelmäßig in “Aldo”, “Brodway” und “Thiossane” auf, wo er sich einen Namen gemacht hat, und wodurch er sich erst eigenes Equipment besorgen konnte.

Am Beispiel von PBS und DJ Makhtar erkennt man eindeutig, daß in Senegal nicht nur sehr viel Talent, sondern genauso viel Ehrgeiz existiert, gut, wenn nicht der Beste, sein zu wollen. Dabei wird Innovation an Stelle von Ausrüstung gesetzt, Fleiß und Talent ersetzen Akribik. HipHop ist in Senegal nicht nur Mode oder Volkssport. HipHop in Senegal ist Lebensart. So wie es sein soll. Es kommt von der Straße und bringt “Gehör, Gefühl und Energie” mit sich, und zwar von allem sehr viel.

In einem Land mit sehr hoher Jugendarbeitslosigkeit ist HipHop nun mehr als eine Ablenkung. Es ist pur, wie es in den USA und in Europa lange nicht mehr ist. Und es ist qualitativ “fett”. Und friedfertig. Wenn es Streit gibt, wie z.B. bei Daara J und PBS, dann wird nicht “gedisst” (HipHop-eigene Art, dem Gegner in Reimen seinen “Disrespect” auszudrücken). Man gibt sich wenigstens nach außen harmonisch. Beim Identifikationsgrad der Jugendlichen mit HipHop (Awadi erzählt, daß man um seine Gesundheit bangen müßte, wenn man beispielsweise in Liberté 6 etwas unfreundlichen über PBS oder ihre Musik sagen würde) ist das nicht etwa verlogen, sondern nur zu klug.

Alles, was mir zu sagen noch übrig bleibt:

“RESPECT”2

  1. Als dieser Artikel 1998 das erste Mal in der Ntama veröffentlicht wurde, existiert Youtube noch nicht und die Lieder wurden im Format RealAudio in die Webseite eingebunden.
  2. Ein großer Dank an DJ Makhtar, der mir viele Hintergrundinformationen gegeben hat.
    (Merci DJ Makhtar pour l”interview a Würzburg! )